Volkshochschule (VHS)
1160 Wien, Ludo Moritz Hartmann-Platz
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Max Adler - Austromarxismus
Im Jahr 1901 gründeten der Historiker, Diplomat und sozialdemokratische Politiker Ludo Moritz Hartmann
und dem Literaturwissenschafter und Autor Emil Reich das Volksheim
Ottakring. Im Jahr 1905 erhielt die Institution nach zwei Jahren
Bauzeit ein eigenes Gebäude und ist damit das erste VHS-Haus in Europa.
Bereits zur Zeit der Gründung der
ersten Republik wurde dem „Volksheim Ottakring ein programmatischer
Rahmen, der bis heute als vorbildliche Orientierung betrachtet werden
kann“ (Filla 2001: 7), gegeben. Dieser beinhaltet die Idee zur
Ausbildung über ideologischen Grenzen hinweg, hin zu einer
Mitbestimmungsmöglichkeit für Teilnehmende an Veranstaltungen (ebd.). Die Bildungsinstitution
hat in ihrer Geschichte immer Wert auf die Vielschichtigkeit ihrer
Umgebung gelegt. So gab es bereits zur Gründungszeit, neben den damals
modernen Filmvorführungen, auch Sprachkurse für Einwohnerinnen und
Einwohner von unterschiedlicher Herkunft. Vielschichtigkeit versteht
sich dabei auch als ein Begriff der Flexibilität, denn in den
schwierigen Zeiten der Wirtschaftskrise ab 1929 nahm sich die VHS den
Arbeitssuchenden an und ermöglichte ihnen den Zugang zu Bildung. Dieses Modell wurde auf das gesamte Staatsgebiet ab 1932
ausgeweitet.
Max Adler hielt an der VHS 16 neben seinen Kursen über Philosophie und Ökonomie so wie zahlreiche andere Austromarxisten, unter ihnen Luitpold Stern, Richard Wagner und Otto Ehrlich, Lehrveranstaltungen über Bildung (Filla 1997: 38f.). An
sechs Abenden unterrichtete Adler im 2. Jahrgang (Oktober 1929 bis Juni
1930) Staats- und Gesellschaftslehre (Filla 2001: 139). Fillas
Recherchen ergaben, dass Adler einer der wenigen an der Universität
habilitierten Mitwirkenden bei Vortrags- und Einzelveranstaltungen war,
wobei er in den 1920er Jahren nur einen Veranstaltungstyp am Volksheim
anbot (Filla 2001: Tabelle 59). Als Stamm- bzw. Langzeitkursleiter
übernahm er mehr als sieben Jahre lang Tätigkeiten in der pädagogischen
Weiterbildung (ebd. 457) und war auch an der VHS Leopoldstadt im Jahr
1928/29 im Bereich Philosophie engagiert (ebd. 454).
Die VHS im Ständestaat
Dass sich dieser Zugang zum Bildungsgedanken im Laufe der Zeit seiner
Umgebung anpasst und vor allem passend gemacht wird, zeigt sich auch in
Folge des autoritären Umbruchs 1934 , als die VHS Teil eines von der
Vaterländischen Front gesteuerten „Bildungswesens“ werden sollte (Lotz- Rimbach 2005: 8)
Zu Beginn fand der „Angriff“ auf das geistige Wesen der VHS Ottakring
über die „im Ständestaat tonangebende Tageszeitung“ statt und zwar in
Person des Philosophen Leo Gabriel (ebd. 8). Der Inhalt der
Anfeindungen bezog sich auf die grundsätzlich von der Vaterländischen
Front divergierenden Ansichten über die Art, die Inhalte und Aufgabe
der Volksbildung, so wie man sie in Ottakring praktizierte. Die
christlichen und berufsständischen Ansichten der neuen Machthaber
fanden sich schlichtweg im Volksheim nicht wieder. Ein weiterer
Kritikpunkt war die Teilhabe der Kursbesuchenden an gestalterischen
Elementen der Veranstaltungen. Wahlfreiheit und Demokratie waren
nachweislich nicht im Rahmen des erwünschten Bildungsspektrums (ebd.
9). Die Intensität der Angriffe Leo Gabriels hatten ebenso egoistische
Motive. Durch die Machtergreifung des Ständestaates und die damit
verbundene Verfolgung von Andersdenkenden, verringerte sich auch die
Anzahl der Vortragenden an der VHS in Ottakring merkbar. In dieses
„Vortragsvakuum“ stieß eben jener Mann vor, um in der Institution Fuß
zu fassen, was ihm zuvor nur in kleinstem Rahmen gelang (ebd. 10).
„Nach der Entlassung von Sozialdemokraten und ‚politisch
Unzuverlässigen’ aus dem Volksheim stieg Leo Gabriels Kurs- und
Vortragstätigkeit im Sommersemester 1934 an, während die Lehrtätigkeit
eines der führenden Volksheimdozenten wie Edgar Zilsel, im
Vergleichszeitraum von 10 Vortragsterminen im Wintersemester 1933/34
auf null im Sommersemester zurückging“ (ebd.). Dennoch fanden auf
Betreiben des damaligen Wiener Vizebürgermeisters Max Winter
im Volksheim weitere von damaligen Stammdozentinnen und Stammdozenten
gehaltene Kurse statt, obwohl diese teilweise bereits ausgeschlossen
wurden. Daraus erschließt sich auch, weshalb das Volksheim „als letzte
demokratische Nische der Arbeiterschaft vom austrofaschistischen Flügel
der neuen österreichischen Einheitspartei bespitzelt wurde.“ (ebd. 10)
In weiterer Folge versuchte nun Leo Gabriel seinen Einfluss
auszuweiten, den er auf Grund seiner neu erlangten Position hatte. Er
setzte ihm und dem Regime nahestehende Leute in das Volksheim ein, um
dieses kontrollierbar zu machen. Noch aber war die Führung des
Volksheims in der Lage diese Vorhaben abzuwenden. So versuchte Gabriel
beispielsweise den als psychisch labil bekannten Johann Nelböck 1934/35
als Vortragenden in die VHS Ottakring einzuschleusen. Der Vorstand
lehnte dies mit Hinweis auf dessen stationären Aufenthalt in Steinhof
ab. Später erschoss Johan Nelböck Moritz Schlick,
seinen Doktorvater an der Universität Wien (ebd. 12f). „Im Sommer 1935
wurde insgesamt der Kulturkampf (...) gegen die letzten Nischen
sozialdemokratischen Geistes härter.“ (Lotz- Rimbach 2005: 13) Dies
zeigt sich auch darin, dass Gabriel aktiv die Leitung des Volksheims
Ottakring denunzierte und weitere polemische Pressemeldungen gegen das
Haus produzierte. So wurden Aufführungen und deren Inhalt in Frage
gestellt und als „untragbare Zustände“ oder als „Arbeiterkunst, wie wir
sie nicht brauchen“ beschrieben (ebd. 14). Nach mehr als einem Jahr des
massiven Drucks wurde schließlich im August 1936 das Führungsgremium
des Volksheims Ottakring von oberster Stelle (Bürgermeister Schmitz)
aus erneuert, in tragender Rolle fand sich Leo Gabriel wieder (ebd.
15f). Die generelle Leitung des Hauses sowie die Personalbesetzung Leo
Gabriels führten zu finanziellen als auch inhaltlichen Schwierigkeiten
im Bereich der Bildung und Ausbildung. Die Vaterländische Front
übernahm ab März 1937 jegliche Letztentscheidungsgewalt, sei es
fachlicher oder organisatorischer Natur (ebd. 18). Abschließend stellt
Lotz fest, dass jene Umgestaltung des Volksbildungswesens, die durch
Leo Gabriel vorangetrieben wurde, ihr Ziel mit dem Anschluss 1938
gefunden hatte. In Satzungen und Vorstandsbeschlüssen waren nur noch
die Buchstaben NS anstatt VF anzubringen, wodurch man im Grunde die
„‚Gleichschaltung’ im Sinne des Nationalsozialismus vorwegnahm“ (ebd.
18).