Anzengruber Verlag Brüder Suschitzky
1100 Wien,
Favoritenstrasse 57
Bilder
Rudolf Goldscheid - Max Adler - Wolfgang Suschitzky
1901
eröffnete das Bruderpaar Philipp und Wilhelm Suschitzky die erste Buch-
und Antiquariatshandlung mit angeschlossener Leihbibliothek in
Favoriten. Die Buchhandlung wurde bald zu einem Zentrum liberaler
Kreise, kurz darauf erfolgte die Gründung des Verlags. Ab 1904/05
erschienen - noch unter dem Namen „Verlag
von Brüder Suschitzky” - Bücher und Broschüren zu Sachthemen, die eng
angelehnt an die Bildungspolitik der sozialdemokratischen Bewegung
waren. Es folgten Publikationen zum Pazifismus, zur Frauenbewegung und
über Sozial- und Sexualreformen von Autorinnen und Autoren wie Rudolf
Goldscheid, Rosa Mayreder oder der Sozialreformer Josef Popper-Lynkeus. Der Verlag war kurze Zeit
Geschäftsstelle des Monistenbunds, einer 1906 von Ernst Haeckel gegründeten freigeistigen Bewegung, der auch Rudolf Goldscheid und Max Adler angehörten.
Ab 1908 hieß der Verlag nach dem Schriftsteller Ludwig Anzengruber „Anzengruber
Verlag Brüder Suschitzky”. Bereits ab 1911 war das Brüderpaar ersten
Anfeindungen ausgesetzt, ab den 1920er Jahren wurden diese, vor allem von
konservativer Seite größer: Mehrere Anklagen, u.a. wegen Verbreitung
pornographischer Literatur, Hausdurchsungen und Buchkonfiskationen setzten das Unternehmen und seine Besitzer
unter Druck. Wilhelm Suschitzky nahm sich am 18. April 1934 das Leben,
seine Frau Adele wurde zweite Geschäftsführerin. Philipp konnte ein
paar Tage nach dem „Anschluss”
fliehen, seine Frau Olga und Schwägerin Adele führten die Geschäfte
weiter. Ein Arisierungsansuchen des ehemaligen Angestellten Johann
Heger wurde zwar abgelehnt, als „jüdisch-marxistisch-pornographischer
Betrieb” wurde der Verlag allerdings 1938 geschlossen und 1941 aus dem
Firmenregister gestrichen. Philipp und Olga Suschitzky wurden im
September 1942 in Frankreich festgenommen und vermutlich 1942/43 im KZ
Auschwitz ermordet.
Der Kameramann Wolfgang Suschitzky
(geboren 1912), Sohn von Wilhelm und Adele, ging bereits 1934 ins
englische Exil und holte 1939, gemeinsam mit seiner Schwester, der
Fotografin Edith Tudor-Hart, ihre Mutter Adele nach. Edith konnte 1933
durch ihre Heirat mit dem englischen Kommunisten und Mediziner
Alexander Tudor-Hart nach England emigrieren. Edith war
Mitglied des Spionagerings "Cambridge Five", der in England für die
Sowjetunion arbeitete. Sie ist vor allem für ihre engagierte Fotografie
bekannt, ihre Fotostrecken beschäftigten sich u.a. mit dem Spanischen
Bürgerkrieg, wiederkehrende Themen waren Kinder, Arbeitslosigkeit und
Obdachlosigkeit. Aus Angst, ihre Spionagetätigkeit könnte entdeckt
werden, vernichtete Edith Tudor-Hart Anfang der 1950er Jahre fast ihr
gesamtes Archiv. Sie betrieb ein Antiquariat in London und lebte bis zu
ihrem Tod 1973 in Armut. Das Wien Museum widmete ihr 2013/2014 eine Ausstellung, 2015 publizierte Peter Stephan Jungk, Sohn ihrer Cousine, eine Biographie, ein Dokumentarfilm soll folgen.
Edith Tudor-Hart 1937, © Wolfgang Suschitzky