Konsum&Medien
Wirtschaftspsychologische Forschungsstelle - Paul Lazarsfeld - Otto Neurath
WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGISCHE FORSCHUNGSSTELLE
Im Auftrag der Industrie betrieb die Wirtschaftspsychologische Forschungsstelle
Marktforschung für Produkte wie Bier, Blumen, elektrische Geräte,
Essig, Wäsche, Schokolade oder Schuhe, um die damals noch
vollkommen neue Methode der Soziographie auf praktische Problematiken
anwenden zu können. Denn, wie Paul Lazarsfeld Jahre später an der Columbia
University den Studierenden erklärte: „Es gibt keine edlen und unedlen
Gegenstände der Forschung.“ (Das Rote Wien: 2005). Vielmehr vermittelte
die Kaufhandlung wichtige allgemeine Einsichten in die Struktur der
Handlung, weshalb es eine „der bleibenden Errungenschaften der
Forschungsstelle war, daß sie die Kaufhandlung akademisch hoffähig
gemacht hat, daß sie die Marktforschung zur akademischen Disziplin
erhoben hat" (Zeisel 1969 zit. nach Wacker 1998: 124). Beauftragt wurde die
Forschungsstelle zumeist von renommierten Firmen aus der
Privatwirtschaft wie die Schuh- und Strumpffirma Delka, die
Ankerbrotwerke, die Schuhfirma Bally, die Schreibgerätefirma Hardtmuth
oder die Lebensmittelkette Julius Meinl (vgl. Das Rote Wien 2013).
Das eingenommene Geld der Forschungsstelle wurde schließlich verwendet,
um größere sozialpsychologische Untersuchungen finanzieren zu können.
Kaffee, die Markforschung an der Forschungsstelle und das Kaufbarometer
Nach
Paul Neurath, dem Sohn Otto Neuraths, ebenfalls Soziologe und lange
Zeit Assistent bei Paul Lazarsfeld in Amerika, war die Forschungsstelle „eigentlich eine Art Marktforschungsinstitut, aber
mit stark psychologischem und sozialpsychologischem Einschlag“ (Neurath
1995: S11f.) Das Hauptstandbein war die empirische Marktforschung, die
standardisiert und relativ professionell ablief (Zeisel 1969: 44).
Mithilfe einer genau ausgearbeiteten Anweisung über die
Gesprächsführung und der Fragebogenerhebung wurden in jedem Quartal
Menschen darüber befragt, welche Marken aus den täglichen
Konsumartikeln zuletzt gekauft wurden. Die Ergebnisse lieferten eine
Einschätzung der Entwicklung des Konsumanteils im kommenden Quartal und
ermöglichten den Kaufleuten, auf die Bedürfnisse der konsumierenden
Bevölkerung zu reagieren und dementsprechend organisatorische und
propagandistische Maßnahmen gezielt einzusetzen (vgl. Paul F.
Lazarsfeld Archiv, WiFo 1&2).
Als Beispiel sei hier etwa eine
Untersuchung über Kaffee erwähnt, bei der gefragt wurde, wer wieviel
Kaffee wie und warum trinkt. Ziel war es dabei, Maßnahmen
herauszufinden, wie das Produkt am Markt erfolgreich wird, wobei im
Abschlussbericht etwa auch ein Werbespruch erfunden wurde: „Mein
Kaffee“. Dies sollte vor allem markenbindend wirken und die Zielgruppe
Hausfrauen ansprechen. Erstaunlich erscheint aus heutiger Sicht, da die
prekäre finanzielle Lage des Instituts bekannt ist, dass in den
Fragebögen relativ viele qualitative (offene) Fragen vorkamen, was den
Auswertungsaufwand deutlich erhöhen musste (vgl. Paul F. Lazarsfeld
Archiv, WiFO-1, Dok. 6). Ein Dankesschreiben etwa der Firma Mautner
Markhof aus dem Jahr 1933 beweist aber auch, dass die Maßnahmen
durchaus von Erfolg gekrönt waren und sich die Forschungsstelle am
Markt etablieren konnte (vgl. Zeisel 1969: 44). Die insbesondere auch
für die Marktforschung relevante Frage, wie Menschen Entscheidungen
treffen und wodurch diese beeinflusst werden, bleibt dabei auch die
zentrale Fragestellung der Lazarsfeld´schen Forschung sowohl in seiner
österreichischen Zeit als auch später in Amerika (vgl. Rosenmayr 1990:
156ff sowie Käsler 1986).
Die RAVAG-Studie (1932) als ein Beispiel für innovative Auftragsforschung
Programmblatt November/Dezember 1929, Online-Archiv der ÖNB
Die Radio Verkehrs AG (RAVAG) wurde
1924 als erste österreichische Rundfunkgesellschaft gegründet und hatte
ihren Sitz am Stubenring 1 im ersten Bezirk. Sie bestand bis zur
Gründung des ORF im Jahr 1958 und gilt als Vorgänger von Radio Wien.
Paul Neurath war es, der in den
späten 1980er Jahren den als verschollen gegoltenen Forschungsbericht
der sog. RAVAG-Studie der „Sozialpsychologischen Forschungsstelle“
wiederfand (Neurath 1996: 24ff). Dabei handelte es sich um eine Umfrage
aus dem Jahr 1931. Ziel war es, in dieser Untersuchung die
Programmwünsche der Hörerinnen und Hörer zu bestimmen. Nach Hans Zeisel
war diese Studie „in vieler Beziehung typisch für unsere Arbeit.
Einerseits war sie wahrscheinlich die erste europäische Medienstudie.
Andererseits hatte sie nach heutigen Maßstäben ernste Mängel“ (Zeisel
1981 zit. nach ebd. 11f.) Vor dieser Untersuchung hatte aber etwa auch
bereits die offizielle Leiterin des Büros, Lotte Radermacher, 1930 eine
quantitative empirische Studie zu Hörgewohnheiten durchgeführt (Mark
1990: 80). Die ernsten Mängel bestanden dabei vor allem methodisch, da
keine Zufallsstichprobe unter den Hörerinnen und Hörern gezogen wurde.
Innovativ war hingegen die genauere Ausdifferenzierung der
Untersuchten– nach sozialer Schichtung, ethnischer Abstammung,
Religion, Alter, Geschlecht, Schulbildung, Wohnort etc. Bewusst
entschied man sich auch gegen ein experimentelles Forschungsdesign -
eine Vorgehensweise, die Lazarsfeld dann auch im „Office of Radio
Research“ durchsetzte (Neurath 1990: 76).
Lazarsfeld verfolgte aber über die
einfache Feststellung der am häufigsten geäußerten Programmwünsche
hinaus noch weitere Ziele: „Ich war Teil einer akademischen Institution
in der Zahlen allein uninteressant gewesen wäre. Wir wurden trainiert
Zahlen als einen Ausgangspunkt für Verallgemeinerungen zu gebrauchen“
(Lazarsfeld 1975 zit. nach Mark 1990: 82). In diesem Sinne entstanden
präzise allgemeine Formulierungen wie: „ (...) in den proletarischen
Schichten steigen mit dem Alter die geistigen Interessen, in den
bürgerlichen nehmen sie im Durchschnitt mit dem Alter ab“ (Neurath
1990: 27). Des Weiteren wurden über die quantitative Analyse hinaus
auch Zusatzwünsche abgefragt, wobei offene Antworten zugelassen wurden.
Dieser qualitative Ansatz war wohl dazu da, Unzulänglichkeiten der
quantitativen Ergebnisse aufgrund der problematischen Rücklaufquote
etwas auszugleichen (Neurath 1990: 34).
Darüber hinaus ging es aber
auch darum, diese Auftragsstudie mit den Interessen der Forscherinnen
und Forscher in der Forschungsstelle und damit mit der
Sozialpsychologie nach Bühler´schem Vorbild zu verbinden. „Wir
versuchten immer unsere Resultate derart zu formulieren, dass daraus
allgemeine psychologische oder soziologische Schlüsse gezogen werden
konnten“ (Lazarsfeld 1975 zit. nach Mark 1990: 82). Demnach wurden
prägnante Redewendungen gesucht, um den „kategorischen Ton“ aus ihnen
herauszulesen, um nicht nur statistische Ergebnisse darzustellen,
sondern auch das Warum zu erklären“. (Neurath 1990: 33) Die Studie
wurde durch Lazarsfeld in der Sozialwissenschaftlichen
Forschungslandschaft in Amerika relativ rasch bekannt, während sie in
Europa erst ab den 1970er Jahren an Popularität gewann. Heute ist sie
einer der meistgelesenen sozialwissenschaftlichen Studien in Österreich
und auch darüber hinaus für ihre fortschrittliche Methodik weit
bekannt.
RAVAG-Studie, Lazarsfeld Archiv Wien.