Wiener Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum
1050 Wien, Vogelsanggasse 36
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Otto Neurath - Wiener Arbeiterkammer - Bildung
Bilder


gesellschafts- und wirtschaftsmuseum 1050Das österreichische Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum (kurz GWM) wurde am 1. Januar 1925 eröffnet. Es ist aus dem 1923 gegründeten Museum für Siedlungs- und Städtebau hervorgegangen, das mit Unterstützung der Wiener Stadtverwaltung am Parkring 12 entstanden war und die Arbeit einer vom Verband für Siedlungs- und Kleingartenwesen, dessen Generalsekretär Neurath zu der Zeit war, organisierten Freiluftausstellung fortsetze (vgl. Fleck 1970: 87). Im Oktober 1924 warb Neurath u.a. beim damaligen Bürgermeister Karl Seitz für die Gründung des Vereins „Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum in Wien“ und sammelte dafür Unterschriften. Finanziell wurde das GWM hauptsächlich von der Gemeinde Wien, der Wiener Arbeiterkammer, den Sozialversicherungsinstituten, den Gewerkschaftskommissionen und anderen Einrichtungen getragen (vgl. Sandner 2014: 179). Proklamiertes Anliegen des Museums war die Volksaufklärung und Volksbildung. Vor allem Menschen mit geringer formaler Schulbildung sollten u.a. mittels der vom Museum entwickelten Bildstatistik komplexe wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenhänge veranschaulicht werden. Für Neurath war das Verständnis eben jener Zusammenhänge essentiell und stellte einen Teil der Allgemeinbildung dar. Dieses Anliegen spiegelte sich auch in den Öffnungszeiten wider: Um Arbeiterinnern und Arbeitern den Zugang zu ermöglichen, öffnete das Museum auch spät nachmittags und abends.

Das GWM sowie andere Sozialmuseen „sind nicht dazu bestimmt, Sonderbares vorzuführen oder Erinnerungen zu sammeln. Nicht darauf kommt es an, gefühlsbetonte Gegenstände zu vereinigen, sondern darauf, die Sammlung der instruktiven Abbildungen, Modelle usw. derart zu gestalten, daß sie ein systematisches Ganzes ist, ein wirklicher Lehrgang für jeden, der ohne Vorbereitung sich mit gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Fragen beschäftigen will“ (Neurath 1925: 2). Das Anliegen einer leicht verständlichen Darstellung komplexer Zusammenhänge war bei Neurath eng verbunden mit dem Ziel, das Bildungsprivileg der herrschenden Klassen zu brechen. Die Bildstatistik sollte in kurzer Zeit auch Arbeiterinnen und Arbeitern eine sichere Orientierung in ökonomischen und sozialen Fragen bieten (vgl. Sandner 2014: 190f.). Um diese Aufgabe erfüllen zu können, entwickelte Neurath in enger Kooperation mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Museums – besonders hervorzuheben sind dabei Neuraths spätere Frau Marie Reidemeister und der Grafiker Gerd Arntz - die oben bereits erwähnte Methode der Bildstatistik, welche über die Jahre im GWM weiterentwickelt wurde und internationale Bekanntheit erreichte. Die Spuren jener Methode führen in Gestalt von optischen Leitsystemen und Infographiken bis in die Gegenwart. Die Ursprünge der Bildstatistik lassen sich bei Neurath bis zu seinem ersten Buch „Antike Wirtschaftsgeschichte“ (1909) und seinen Arbeiten für das Leipziger Museum zurückverfolgen.


bildstatistik wanderbewegungen

Für diese Methode der Bildstatistik, von Neurath zuerst Wiener Methode, dann nach der Emigration Isotype getauft, ist spezifisch, dass die Bedeutung der Symbole unmittelbar erkennbar und ohne Vorkenntnisse lesbar sein sollte. Die Symbole – „sprechende Zeichen“ (Sandner 2014: 188) – sollten aus sich heraus erkennbar sein.
Die Verwendung eines Maiskolbens als Symbol für die Produktion von Mais oder eines Automobils als Symbol für die Produktion von Automobilen etwa benötigt keiner weiteren Erläuterung. Die Beschreibung der Symbole, sofern vorhanden, beschränkte sich dabei auf kurze Überschriften von maximal ein oder zwei Worten. Zur Darstellung von Mengenrelationen wurde eine unterschiedlich große Menge an Symbolen verwendet, nicht etwa unterschiedlich große Symbole, da sich Mengenrelationen, nach Meinung Neuraths, für das menschliche Auge so besser darstellen ließen.

Durch die Kombination mit Zeitachsen, geographischen Karten oder Pfeilen lassen sich auch mit dieser simplen Darstellungsweise komplexe Zusammenhänge wie Im- und Exporte, zeitliche Entwicklungen und Rohstoffproduktionen nach Standorten veranschaulichen.
Man erhielt 1926 von der Sozialversicherungsinstituten und der Arbeiterkammer den Auftrag die Leistung der österreichischen Sozialversicherung auf der GESOLEI (Gesundheitspflege, Soziale Fürsorge und Leibesübung), der größten Ausstellung der Weimarer Republik, bildhaft darzustellen.


gesellschaftsmuseum im rathausWegen des starken Andrangs waren die Räumlichkeiten nach wenigen Jahren nicht mehr ausreichend und dem Museum wurde eine Dauerausstellung in der Volkshalle im Wiener Rathaus zuteil, die 1927 eröffnet wurde.
Wichtige Themen dieser permanenten Ausstellung waren die sozialen und kulturellen Leistungen der Gemeinde Wien. Zudem mietete man weitere Räume an und stellte mehr Personal ein, sodass das GWM auf mehrere Standorte verteilt war, in denen jeweils unterschiedliche Themenschwerpunkte galten. In der Volkshalle waren dies die Themen Weltwirtschaft, Österreich und Deutschland, die Arbeiterbewegung und die Wiener Bevölkerung. Am Parkring standen die Themen Sozialhygiene und Sozialversicherung im Vordergrund und “Am Fuchsenfeld” wurden weltwirtschaftliche Themen behandelt (Sandner 2014: 181). Neben diesen Dauerausstellungen arbeitete das Museum, wie schon für die GESOLEI, an unterschiedlichen wechselnden Ausstellungen mit.  Auch international wuchs das Interesse an der Arbeit des GWM. Mit dem Mundaneum gründete man in Wien eine Einrichtung, welche die internationale Zusammenarbeit intensivieren sollte. Nebenstellen, regionale Büros und Kooperation gingen daraus in Berlin, Amsterdam, Prag, Den Haag, New York und London hervor (vgl. Sandner 2014: 184). Zudem wurde auf Anfrage aus Moskau das Institut "Isostat" gegründet, welches durch fünf Wiener Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter intensiv betreut wurde.

bildstatistik ns-zeitDas Ende des GWM wurde von der Dollfuß-Regierung damit begründet, dass es sich dabei um eine Propagandainstitution der sozialdemokratischen Gemeinde handele. Der Auflösungsbescheid für den Verein erreichte Paul Speiser, letzter Obmann des Vereins und Stadtrat, am 5. April 1934. Zeitgleich wurden diverse Mitglieder des Vereins als Angehörige der Sozialdemokratie inhaftiert. Wenngleich bei der Auflösung des Vereins kein Bargeld vorhanden war und ein buchmäßiger Schuldenstand verzeichnet war, besaßen die Einrichtungsgegenstände der unterschiedlichen Ausstellungen des Vereins mit etwa 150.000 Schilling einen hohen materiellen Wert. Durch den Bescheid M.Abt. 2/49 – 9161/34 wurde die Auflösung widerrufen, die Enthebung der früheren Vereinsleitung aber damit begründet, dass diese „nicht die volle Gewähr bietet, daß sie die Geschäfte in einer, mit den Interessen der Allgemeinheit übereinstimmenden Weise führen werden“ (Rauscher 1982: 360). Bis zur Übernahme durch die Nationalsozialisten hieß das Museum ab 1936 „Österreichisches Institut für Bildstatistik“ (Rauscher 1982: 360f.).
Nach der „nationalsozialistischen Machtübernahme“ wurde der Graphiker Hofmann zum Leiter des Instituts bestellt und das Institut in „Institut für Ausstellungstechnik und Bildstatistik“ umbenannt. Man arbeitete an verschiedenen Ausstellungen, unter anderem „Der Sowjetschau“, mit und übernahm auch Aufträge von Göbbels-Ministerium aus Berlin (Rauscher 1982: 361).

Scan aus: Stadler, Friedrich (Ed.). (1982): Arbeiterbildung in der Zwischenkriegszeit. Wien: Loecker, 362.

Das Museum nach 1945

Nach dem Krieg wurde das Museum, nach komplizierten Verhandlungen über das Vereinsvermögen, als „Österreichisches Institut für Gesellschafts- und Wirtschafts-Statistik“ wiedergegründet. Dem Verein gehörten die Gemeinde Wien, der Österreichische Gewerkschafts-Bund, der Arbeiterkammertag, die Arbeiterbank, der Verband der Konsum- und Genossenschaften, der Hauptverband der Versicherungsträger u.a. wieder an (vgl. Rauscher 1982: 402). Im Unterschied zu den ersten Jahren waren nun Vertreterinnen und Vertreter aller drei politischer Parteien (SPÖ, ÖVP, KPÖ) im Kuratorium und dem Vorstand.
Nach Statutenänderungen wurde das Museum 1948 wieder zum „Österreichischen Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum“. Nach mehreren Standortwechseln, von der Hakengasse über die Kelingasse 2 und die Siebeneichengasse 17, alle im 15. Bezirk, wurde das Museum ab Oktober 1962 in einer ehemaligen Schule in der Vogelsanggasse 36 im 5. Bezirk in Wien untergebracht. Hier ist bis heute der Standort des Museums.

Von 1945 bis 1972 stand das Museum unter der Leitung von Franz Rauscher, einem Schüler Otto Neuraths. Erste Aufgaben bestanden in der Sichtung und Auswertung des noch vorhanden Materials sowie der Neueinrichtung des Museums. Inhaltlich beschäftigte sich das Museum vor allem mit der Entwicklung und den Problemen der österreichischen Wirtschaft. Der allgemeinen Öffentlichkeit blieb das Museum bis 1988 verschlossen und wurde vornehmlich von Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher Schulformen (Hochschulen, Handelsakademien, Berufsschulen usw.) besucht. Diese Ausrichtung setzt sich mit Blick auf das Angebot des Museums bis heute fort (Schulwanderausstellungen, Wirtschaftslehrpfad, Lernwerkstatt „Elementar“). Erst unter der Leitung von Josef Docekal (1972 - 2000) wurde das Museum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Seit 2000 steht das Museum unter der Leitung von Hans Hartweger.


Literatur